Im Solingen-House kamen 112 Kinder zur Welt
Die breite Sandpiste zum Solingen-House ist befahrbar – jetzt in der Trockenzeit. Denn im Südosten Kambodschas kann die Regenzeit verheerend sein und manchmal kommt das Wasser des kilometerweit entfernten Mekong sogar auf den Reisfeldern und in die Dörfer des Distriktes Kamchay Mea.
Von Uli Preuss
Unser SUV wühlt sich durch den Staub, vorbei an den typischen Khmerhäusern auf ihren zwei Meter hohen Stelzen. Die Straße ins Dörfchen Kouk Kong Lech ist repariert. Räumfahrzeuge, ähnlich einem Schneepflug haben vor Wochen die durchs Regenwasser entstandenen Furchen geglättet.
An diesem Morgen ist es noch kühl für kambodschanische Verhältnisse. Das Leben spielt sich draußen ab. Kinder spielen am Straßenrand, chinesische Mopeds und altersschwache Traktoren fahren um die Wette. Dazwischen die Mönche, die wie jeden Tag bei den Menschen Reis bekommen, der wiederum in der nahen Pagode an Mitbuddhisten und Bedürftige verteilt wird.
Dann taucht zwischen den Reisfeldern ein schmucker Neubau auf – flach, mit rotem Dach und gelben Mauern: Das Solingen-House. Die Gesundheitsstation st ein echter Blickfang zwischen den alterschwachen Holz- und Bambushütten.
Seit Juni kommen die Menschen zu „ihrer“ Station. Leiter Sim Sak führt genau Buch über Impfungen, die Notfälle, Verletzungen oder die häufig vorkommenden Atemwegserkrankungen. Eben hat der erfahrene Sanitäter Soran Men behandelt. Die 60-Jährige hat sich am Rücken verletzt. Schmerzmittel, die ihr in der kleinen Apotheke gegeben werden, helfen fürs erste.
Schon fast 4000 Patienten kamen bisher zu Sim Sak und seinen sieben Mitarbeitern. Die einfachen, ein wenig mißtrauischen Menschen, eher gewohnt von Heilern oder gar nicht behandelt zu werden, lassen jetzt erstmals moderne Medizin an sich heran, nehmen Tabletten aus der stationseigenen Apotheke, die für sie endlich bezahlbar sind.
Im „Solingen-House“ werden dafür nur ganz geringe Gebühren erhoben. So kostet eine Geburt sieben Dollar, eine Schwangerschaftsuntersuchung 50 Cent. Die Menschen hier sind arm und leben vom Reisanbau. Wer nichts besitzt, muß auch nichts bezahlen. Dazu muss er allerdings eine Art Sozialschein vorlegen.
Seit November gibt es hinter dem Solingen-House einen Krankenwagen. Der wurde vom Friedensdorf finanziert. Bereits sieben Mal kam der Wagen zum Einsatz, fuhr Schwerkranke in Hospitäler nach Phnom Penh oder an die vietnamesische Grenze. So ein Wagen spricht sich rum. Schon zwei Mal wurde der Kleinbus von anderen Stationen ausgeliehen, gegen Gebühr versteht sich. Und so finanziert sich das Auto allmählich selber.
Die Station, die Solinger Bürger zusammen mit der Oberhausener Hilfsorganisation Friedensdorf International bauten, war dringend nötig, Zahlen belegen das. 7200 Menschen werden jetzt erstmals ohne übermenschliche Mühe versorgt.
Denn früher war hier nichts. Für 1597 Familien gab es in der kleinen Gemeinde Kouk Kong Lech und ihren 17 Dörfern überhaupt keine medizinische Versorgung. Wer schwer erkrankte oder sich bei der Feldarbeit verletzte, wurde mühselig ins weit entfernte Hospital gebracht. Und das konnte, besonders in der Regenzeit, Tage dauern.
Kinder kommen immer noch zur Welt, wie die Menschen in Kambodscha es seit Jahrtausenden kennen. Hochschwangere liegen dabei tagelang auf einer Pritsche anderteinhalb Meter über dem offenen Feuer, lassen sich vom Rauch „desinfizieren“ und nutzen die Wärme der Flammen für die Geburtsphase. Nach erfolgter Geburt wird die Nabelschnur durchtrennt – mit scharfem Bambus. Ein Vorgang, der bisher allzuoft mit dem Tod des Säuglings endete.
54 von 1000 Babys starben noch 2011 in Kambodscha, bevor sie das erste Lebensjahr erreichten. Stationen wie das Solingen-House senken die Sterblichkeit deutlich. Schon 22 Gesundheitsstationen hat das Friedensdorf im Land der Khmer gebaut.
Eben kommt Familie Ratha mit Söhnchen Vicheka zur ersten Impfung. Auch das ist ein neues Angebot hier. Ramo (25) und Ehefrau Siey Yeap sind Reisbauern. Ihr Nachwuchs kam am 6. November zur Welt, schreit jetzt auf, als ihn die Nadel piekt.
Hebamme Thon Somoun (39) ist glücklich, weil die Mütter die neue Station so gut annehmen. 112 Kinder kamen zwischen Juni und Ende Januar zur Welt – fachlich begleitet. Die drei Hebammen, die wie die anderen Mitarbeiter der Station vom Staat Kambodscha bezahlt werden, arbeiten im Schichtdienst, verdienen mehr als die Arbeiterinnen der Textilfabriken in Phnom Penh. Ein wirkungsvoller Anreiz für sie, fern der Großstadt auf dem kargen Land zu bleiben.
Dieser Artikel erschien am 23. Februar 2015 im Solinger Tageblatt.