Moria

Seebrücke-Kundgebung in Solingen

Dr. Christoph Zenses bei der Seebrücke-Kundgebung am Fronhof. Foto: Daniela Tobias

Wie in vielen deutschen Städten in diesem Sommer gab es auch in Solingen am 4. August eine Seebrücke-Kundgebung, zu der das Bündnis Solingen ist Bunt statt Braun aufgerufen hatte, um sichere Häfen für in Seenot geratene Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu fordern. Unter anderem berichtete Dr. Christoph Zenses dort über seine Einsätze im Camp Moria und auf dem Rettungsschiff Sea-Watch. Er beschrieb, dass allein schon die Anreise zu Hilfseinsätzen durch Leichen, die im Meer trieben, führte.

„Bei den Einsätzen waren immer wieder Tote, die man im Wasser lassen musste, sogar einmal auch ein Baby einer weinenden Mutter, die dann bei mir im Hospital saß, die ich eigentlich gar nicht trösten konnte.

Ins Hospital kamen sehr viele Verletzte bzw. gefolterte Menschen. Entstanden durch verschiedene Folterungen – mit Eisenstangen auf die Gliedmaßen, Schläge gegen das Ohr, in die Augen. Ich sah frische oder schief angeheilte Knochenbrüche, die ich nur mit einem Metallbandwickel stabilisieren konnte.

Weiterhin kamen viele Vergewaltigte, egal, ob Männer oder Frauen. Hautverletzungen, großflächige Verätzungen durch das Benzin-Salzwasser-Gemisch am Boden in den Booten, sehr viel Krätze, dann Tuberkulose, sehr große und viele Narben am ganzen Körper. Weiterhin kamen immer wieder große, auch sehr tiefe, infizierte Wunden zur Versorgung.

Insgesamt waren die Verletzungen aus den libyschen Lagern deutlich heftiger, als die, die ich – auch in voller Breite des erwähnten Spektrums – noch vor einigen Wochen im Camp Moria auf Lesbos gesehen habe. Den Menschen auf Moria waren sie nach Augenzeugenberichten meist in türkischen Lagern zugefügt worden – Lagern, die von der EU finanziert werden.

Dr. Christoph Zenses (vorne links) und die Crew der Sea-Watch. Foto: Sea-Watch

Wenn man diese Menschen so auf dem Schiff im Mittelmeer sieht, kann man sie nicht nach Libyen zurückbringen. Das Seerecht schreibt vor, Schiffbrüchige an einen place of safety zu bringen. An einen Ort, an dem den Geretteten keine Gewalt droht. Libyen hingegen hat weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben.

Nur eine von vielen Geschichten ist hier auch über den Kapitän zu erzählen: Wir bekamen nachts um 2:00 Uhr einen Notruf. Es war völlig dunkel, wir hatten schon wieder sehr viele Flüchtlinge an Bord. Von der Leitstelle in Rom kam die Aufforderung in libysche Gewässer zu fahren. Das war abgesprochen, da ein Boot gekentert war und keine libysche Küstenwache so nah war, so schnell kommen konnte.

Es war stockdunkel und es wurde mit Suchscheinwerfern gearbeitet. Wir sahen das Boot, Menschen im Wasser, man hörte das Schreien, die meisten konnten nicht schwimmen. Während diese Menschen geborgen wurden, kam – ohne Licht – die libysche Küstenwache sehr nah an uns heran. Tauchte auf einmal auf.

Dann wurden wir in scharfen Ton über den Notfallkanal 16 aufgefordert, mit unserem Schiff die libyschen Gewässer zu verlassen. Unsere beiden Schnellboote, deren kleine Besatzung die Leute aus dem Wasser zog, sollten aber bleiben. Wir dachten nur, die armen Kollegen draußen, das hätte ja jeden von uns treffen können.

Und dann war es unser Kapitän, der sagte: ich werde hier nicht wegfahren! Wir kamen hierhin mit einer Crew von 16 Leuten und ich werde dieses Gebiet auch nur mit 16 Leuten wieder verlassen. Es tat uns allen unheimlich gut, diese Worte vom Kapitän zu hören. Und es hat funktioniert.“